New York, fluctuat nec mergitur

New York, fluctuat nec mergitur

Eine bewährte Reisetruppe, erfahren in Italien, erprobt im geliebten Frankreich, will Neuland erproben. Jeder für sich, war schon mal überm Teich, jeder hat ein paar Vorurteile, einer auch hartleibige. Wir treffen uns zur Unzeit am Check in Frankfurt, ab in der Flieger und – erst einmal bleibt es schön leise im neuen A 380. Der Abflug verzögert sich, es wird schon mal geprüft, wie man es denn die paar Stunden, eingepfercht in das erstaunlich komfortable Gestühl mit der vielfältigen Unterhaltungselektronik, mit jeder Menge Film und Musikangebot, individueller Sitz- und Klimaeinstellung und eben dem Platzangebot, hinkommen könnte. Kaum am Start, stellen wir mit Befriedigung fest, es wird nicht wirklich lauter. Wegen der Unzeit dämmern die ersten, im Angesicht des aktuellsten Actionprodukts aus Hollywood entspannt einschlummernd weg. Da sich Auf- und Anregung mit der Spannung und der Neugier mischen, gräbt der ein oder andere auch in seinem Fundus an Reiserfahrungen, Griechenland, Indien, Dolomitenwanderungen, Wat Phra Keo, Anden.

 

Wir fliegen dem Tag hinterher und die sieben Stunden vergehen wie im Flug. Der Hartleibige fürchtet ja am gestreng albernen Immigrationsprocedere zu scheitern und wie Tom Hanks, für die Urlaubswoche, nicht den geheiligten Boden von „gods own land“ betreten zu dürfen – nein bei diesem Besuch plane er keinen terroristischen Überfall – alle Handfeuerwaffen und Drogen mussten zu hause bleiben. Trotzdem erste intensive Vorbereitung auf die hiesige Kultur. „Stay in line“, gut zwei Stunden wird zur Einführung eine von Amerikas bedeutsamsten Errungenschaften, das disziplinierende „Queuing“ geübt. Von den reichlich 50 Schaltern der Customs Unit sind gerade mal fünf besetzt und bei 650 überraschenden Mitfliegern, deren „erkennungsdienstliche Maßnahmen, mit Abnahme der Fingerabdrücke, Irisfotographie und „kaum peinlicher“ Befragung halt dauert, kommt zunehmend Unmut auf. Erst als von einem zweiten Bomber die reisemüde Menschenlast in die Riesenhalle drängt, entsteht in der überbürokratischen Agonie, ein wenig Schwung und der Menschen-Durchsatz nimmt erkennbar zu. Wie im Internet-Werbespot der späten Achtziger, „war man dann jetzt doch erstaunlich schnell drin“.

 

Rumpel, Rappel, hast du gesehen….?

Vorbei an ein paar gelangweilt, in stattlicher Übergröße kostümierten Uniformierten, deren üppige Hüften von vielerlei sperrigen Gerätschaften umgürtet das Gehen eher zu Enten mäßigem Gewatschel werden lassen,  an eine „Transport-Sammelstelle“. Wildes hin und her telefonieren und schon erscheint eine ebenfalls üppige Dame, mit erkennbar dürftigen Englischkenntnissen, aber lateinamerikanischen Wurzeln, die uns spornstreich quer durch den Flughafen zu einem wartenden Kleinbus führt. „This is your driver“ und weg. Hotel: “The New Yorker- aaahn – Mänhätt`n – aaahn – yu luggitsch in trunk” – geschafft. Seit unsere reichlich ausgelutschte Minicoach vor geschätzten 300.000 Meilen in den New Yorker Straßenverkehr eingeführt wurde, dienen unerklärliche, kreuz und quer verbindbare, zum Teil nachträglich eingebaute Gurte und Gurtzubringer, Gurtschlösser, Griffe, nicht wirklich selbsterklärend in ihrer Funktion, unserer Sicherheit. Unser Fahrer verbreitet durch seine souverän, coole Fahrweise und die laut das Radio begleiteten Gospelgesänge für weitere Sicherheit. Von JFK, vorbei an „Jamaika“ quer durch Queens, immer näher klebten wir an den Seitenscheiben, um weit nach oben zwischen den Wolkenkratzern hindurch den strahlend blauen Himmel zu sehen. So sei das Wetter am Tag des 9/11 auch gewesen. Rumpel, Rappel, hast du gesehen…, hast du die Luftseilbahn über Roosevelt Island gesehen, da links war doch das Empire , nein, das war doch die Villa Marchionne – das Chrysler Building, die Park Avenue, die Fifth, hier das Rockefeller Center, Broadway, die Siebte runter, Times Square, die Fashion Avenue, feinster Jugendstil, nur eben 100 Meter hoch, neben modernsten Glastürmen, überladen, stilvolle Ornamentik darüber Leuchtreklame, Cola, Whiskey und Wrangler, George Clooney. Here we are. 34ste/Ecke 8.Ave.

 

Zentraler geht`s kaum. Stilvolle Nüchternheit aus 1928. Check in – nur kurze Schlange –  alles wie vorbestellt. Treffen in einer Stunde wieder in der Lobby. Das Zimmerchen im 27. Stock, sauber, entgegen der Erwartung nicht überhitzt und der irre Wasserdruck der Dusche haut das aufkommende time lag wieder weg.

 

alltägliches New York

Erst einmal raus, vor die Tür. Fast tosender Wind, Gehupe, Müllabfuhr, Gepiepe rückwärtsfahrender Anliefer-Trucks, Geheule von Krankenwagen oder Polizei, permanent, wie im Film, jetzt das Empire State Building geradeaus, rechts versetzt, gegenüber auf der Ecke Madison Square Garden. Die Achte, uptown, Richtung Times Square. Wo gehen wir essen, die Waden sind schon das erste mal sauer, Holen wir uns ein Seven-Day-Metro-Ticket oder nach dem langen Sitzen erst mal Laufen. Sollen wir noch schnell bevor`s dunkel wird, unseren Voucher für`s Rockefeller Center nutzen? Von der 35igsten bis zur 50igsten, k-ein Katzensprung, „queuing“, haben wir ja schon geübt, „stay in line“ auch. Ach, hier steht immer der New Yorker Riesenweihnachtsbaum, dort die Eisbahn, der erste Aufzug, geht nur mal eben zwei Etagen zum Hauptaufzug, 70 Stockwerke, plötzlich tut sich der Sternenhimmel auf und man wird mystisch beleuchtet, 250 m hochgeschossen. Das obligatorische Bild der frühstückenden Bauarbeiter auf dem luftigen Stahlträger, gern genutzter Fake. Erste Orientierung auf den Aussichtsplattformen „Top Of The Rock“ es wird bereits duster – ist das der Central Park, Hudson oder East River. Es pfeift ein ordentlicher Wind, die in die Smart-Phones eingebauten Blitzgeräte verlieren den Kampf gegen das Abendlicht. Zum wievielten Mal schon: Kuck mal… das ist doch…. unten brodelt die Stadt.

 

Hier erwartet niemand wirklich einen kulinarischen Tempel, aber das „Bond“ in der 45igsten St bietet durchaus seriöse italienische Küche und temperierten Weißwein. Man wird „gesetzt“, wir erkennen im Vorübergehen, Erdbeertorte mit wohl echt amerikanischen 4 oz. Früchten.

 

Der Rückweg wieder eine Herausforderung an das schon müde Fahrgestell. Ein auffallendes Aufgebot an wildpfeifenden awesome uniforms, an jeder Straßenecke, daneben ebenso viele, die mit ihrer Habe in überdimensionierten Einkaufswägelchen, eine Parkbank für die Nacht suchen. Der Andrang ist groß, es gibt nicht für jeden einen guten Platz.

 

Ground Zero

 

Die folgende Woche vergeht wie im Flug. Vom Pier 78 mit dem Schiff den Hudson runter, die Skyline quasi von der „Rückseite“, man kann erkennen, wo Ground Zero liegt, Battery Park, Hubschrauber-Landepier für die Wall-Street-Boys, Brooklyn Bridge und von der East-River-Seite beeindruckende wohl bekanntestes Skyline der Welt, zurück mit Schwung in eine kamerageeignete Position vor Mrs Liberty, ein Muss für jeden New York Besucher.

 

Mit dem Fahrrad nach Downtown, entlang am Hudson, die neu bepflanzte High Line, die Mittagsessensflaniermeile der kleinen Bankster, das gepflegte Greenwich Village. Kurzweilige Busrundfahrt, Hop-on Hop-off, alles bestens organisiert. Die Dienstleistung Amerika typisch etwas umständlich und bürokratisch, für klassisch individualistische Europäer ungewöhnlich bevormundend, aber stets bemüht.

 

Central Park

MoMa, Guggenheim, „Neue Galerie“, selbst in Paris findet man kaum mehr Hodlers , Klimts, Picassos, Gaugins, Franz Marcs oder Max Ernsts. Skulpturen von Brancusi bis Giacometti, alles phantastisch, zudem in beeindruckender Architektur. Wie überhaupt die Architektur begeistert, die Mischung aus Klassizistisch, Art Nouveau, und Moderne, nur halt doppelt so groß und dreimal so hoch, wie in „old Europe“, kühne, filmreife Hänge- und Stahlbrückenkonstruktionen aus dem 19. Jahrhundert, endlos dröhnenden Straßenschluchten, mit typischer Geräuschkulisse, gepflegte Parks, selbst im Central Park gilt Rauchverbot und es gilt den Besucher immer und überall zu disziplinieren. Die Garküchen in Chinatown, Little Italy, die Maßschneidereien im jüdischen Viertel, New York hat eine irre Bandbreite. Der Blick fällt jedoch auch auf die erkennbare Armut im reichsten Land der Erde, marode Infrastruktur, löchrige Straßen, pannenanfällige Metroverbindungen, halbzusammengebrochene Stadtbusse.

 

Solange genügend Green-Bucks zur Verfügung stehen, und man nicht auf die offensichtlich als Alterssicherung für Veterans dienende, mobilen Hot dog-, Bretzels- und Getränkedosenverkaufswägen angewiesen ist,  bleibt  das grellbunte Shopping Paradies durchaus ein Magnet. Sieht man näher hin, verführen die kaum bezahlten Dienstleistungsjobs im Restaurant, in den Geschäften und in den unzähligen uniformierten Wach- und Sicherheitsjobs kaum. Die Restaurant-Kultur unterscheidet sich stark von der europäischen, werden einem doch die Teller unter dem letzten Bissen schon weggerissen. Das gemütliche Glas danach gilt schon als störend. Dem Restaurantbetreiber ist die Bezahlung seines stets freundlichen Service vollkommen gleichgültig, er mahnt vielleicht 15 % TIP an, aber kümmert sich nicht um die Bezahlung. Dienstleistung in Amerika kostet nichts und ist deswegen auch nichts wert !

 

Die beeindruckende Architektur der Grand Central Station war schon mal aus Gewinnmaximierungsgründen für den Abriss vorgesehen und blieb glücklicherweise erhalten. Die „Oyster-Bar“ im Untergeschoß, laut wie eine Disko, liefert aber eine durchaus vertretbarer Küche. Der Hochaltar des Amerikanismus, „Ground Zero“ ist noch nicht ganz fertig, aber er hilft einem schon, streng bewacht, die inzwischen gewonnene Lässigkeit beim „queuing“ zu perfektionieren.

 

In den paar Tagen war sicher nicht alles Interessante und Wichtige zu sehen, die kulturellen und individuellen Unterschiede zwischen der vorgeblich alten europäischen Welt und der erkennbar in die Jahre gekommenen neuen werden in New York quasi komprimiert, auch unser hartleibig Vorurteilsbeladener will wieder kommen. New York ist lebendig, künstlich, aber auch alt und grau, teilweise spektakulär und gelegentlich enervierend. New York lohnt sich !

 

 

Margit W.-B.
New York, Okt 2012

 

 

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